
WIE HEISST DIESER ORT?
von MIHA KOSOVEL
Jedes Wissen über das Zuhause, den Ort und den Raum ist detailliert. Die Einheimischen beschäftigen sich gerne mit dem Wissen um die Feinheiten, dem Sfumatur. Wir entdecken die alten Namen der Gebiete, die versteckten Flussbetten von Bächen, die wir noch in der Landschaft der Stadt sehen können, die aber schon lange mit Asphalt bedeckt sind. Wir entdecken die kleinen Geschichten, die den Raum geprägt haben, und die Schicksale von Menschen, die dem tragischen Rad der Geschichte getrotzt haben. Solch detailliertes Wissen und Mikrogeschichten sind wichtig, um einen vom Krieg zerrütteten Raum wie das grenzüberschreitende Goriška aufzubrechen, da sie eine Art Selbstverteidigung gegen die großen entfremdenden nationalen Narrative darstellen, die in den Raum eingedrungen sind und ihn zerstört haben. In diesem Zusammenhang ist die Arbeit von Anja Medved und Nadja Velušček von größter Bedeutung, die seit Jahrzehnten die privaten Geschichten und Erinnerungen der Bewohner beider Seiten der Grenze, ihre Erfahrungen des blutigen zwanzigsten Jahrhunderts, ihre Verflechtungen, ihren Schmerz und ihre Freuden erforschen. Durch diesen Mosaikprozess gewinnen die Bewohner*innen ihre Zugehörigkeit zum Raum zurück, und der Komplexität des historischen Geschehens wird die Einfachheit großer kollektiver Erzählungen entgegengesetzt. Mit Kleinheit ist es möglich, gegen große Geschichten anzukämpfen, denn je näher wir kommen, desto mehr werden die Geschichten der Länder durch Geschichten über Menschen und ihre persönlichen Erfahrungen mit historischen Momenten ersetzt. In ihrem letzten Film Don’t Forget Me, das Anfang Mai Premiere feierte, verfolgt die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs in der Region Goriška mit den Augen von Kindern und durch sie können wir die Erfahrung des Krieges aller Kinder widerspiegeln, auch derjenigen, die heute die Schrecken des Krieges erleben.
Wenn das 20. Jahrhundert eine Periode der Spaltung war, so haben wir in den letzten Jahrzehnten einen Versuch einer Synthese erlebt. Wie können wir – jenseits aller Mikrogeschichten und Mikroidentitäten – über den gemeinsamen Weg des Ballungsraums Gorizia nachdenken, um nicht in hegemoniale nationalistische Diskurse oder banale Vereinfachungen zu verfallen? Wie nennen Sie diese urbane Einheit, die als geographische Tatsache und als Perspektive in die Zukunft existiert?
Aus italienischer Sicht sind dies Gorizia und Nova Gorica, zwei nebeneinander liegende Städte, die sich zu einem gemeinsamen Dickicht zusammenwachsen, die aber streng vom Namen her nur wenige Buchstaben gemeinsam haben. Auf italienischer Seite gab es keine große Tendenz, den Namen in Nuova Gorizia zu übersetzen, und die wenigen Versuche, die im Laufe der Jahre unternommen wurden, stießen einerseits auf Missverständnisse und andererseits auf Ablehnung, ja sogar auf Proteste.
Auf slowenischer Seite wird es allerdings etwas komplizierter. Nicht nur die Einheimischen, sondern jeder in Slowenien nennt die Stadt auf der slowenischen Seite Gorica, und die anderen nennen sie das „alte“ Gorica. Diese Bezeichnung, die für die slowenische Minderheit in Italien sehr ärgerlich ist (nach ihrer Meinung handelt es sich um die echte Gorica und die andere, nicht-wirkliche, die sich nur den Namen Nova „Gorica“ gegeben hat), steht im Einklang mit der Verwendung des Namens Gorica von Anfang an. Niemand sagt jemals, dass sie von Ljubljana nach Nova Gorica fahren, sondern nach Gorizia, und die Fans rufen „Gorica!“ und ihr Verein heißt N.D. Gorica. Die Unternehmen werden auch so genannt: Wir hatten Vozila Gorica, Kurivo Gorica, Cestno podnik Gorica, oder Münzen wie Gostol, Avrigo, die zu Nomago wurden, und wir konnten weitermachen. Das liegt nicht daran, wie es ein Fremdenführer einmal ausdrückte, „daran, dass die Einheimischen den Namen ihrer Stadt nicht kennen“, sondern gerade daran, dass sie intuitiv verstehen, dass die Geschichte von Gorica auch die Geschichte von Nova Gorica ist. Dass der Verlust von Gorica nach dem Zweiten Weltkrieg ein sehr schwerer Schlag für die slowenische Realität gewesen wäre und dass das slowenische Siegel der Stadt irgendwie gerettet werden musste, aber nicht mehr durch Krieg, sondern durch friedliche, konstruktive Aktionen. Dass wir heute darüber nachdenken können, auch unter der Schirmherrschaft des Gemeinschaftsprojekts GO! Grenzenlos können wir es dieser genialen, wenn auch äußerst ungewöhnlichen und zweifellos nicht selbstverständlichen Entscheidung verdanken, ein „neues“ Gorizia zu bauen.
Aber die Verwirrung endet hier nicht. Das oben beschriebene intuitive Wissen lässt sich weder in eine sinnvolle Topologie noch wirklich in eine inklusive Identität übersetzen. Wenn auf italienischer Seite die Dinge klar vom Kleinen bis zum Großen, vom Besonderen zum Gewöhnlichen unterschieden werden und Sant’Andrea/Štandrež und Lucinico/Lucinis Teil der „frazione“ der Stadt Gorizia sind, einer Stadt, die sich weiter mit anderen in die Landschaft und Landschaften in die Region verbindet, kann es auf unserer Seite nicht so gehen, denn nur wenige Menschen hassen das Slowenische mehr als die Hierarchie. In Slowenien gibt es keine Regionen oder Provinzen, sondern nur Gemeinden: einige größer, andere kleiner, einige mit dem Titel „städtisch“, andere ohne. Aber rechtlich gesehen sind sie dem Staatsapparat meist gleichgestellt und gleich weit vom Staatsapparat entfernt. So wurde die Stadt Šempeter, die einst Teil der Gemeinde Nova Gorica war, wo sich ihr Stadtkrankenhaus befindet, unabhängig von ihrer Gemeinde und sieht heute keine Notwendigkeit mehr für eine Zusammenarbeit mit Nova Gorica – so sehr, dass sie nicht einmal in das Projekt Kulturhauptstadt Europas einbezogen wird.
Auch innerhalb der Gemeinde gibt es Spannungen. Die Orte, die mit Nova Gorica ein einziges Stadtgebiet bilden – Solkan, Rožna Dolina, Kromberk, Ajševica, … – haben den Status selbständiger Orte. Da sie älter als Nova Gorica sind, ist es für sie eine Ehre, ein integraler Bestandteil davon zu werden. Das ist verständlich, aber es wäre dennoch notwendig, sie unter Anerkennung ihrer spezifischen Identität in ihr Ganzes einzubeziehen. Vor Jahren drohte Nova Gorica seinen Status als Stadtgemeinde zu verlieren, da die Stadt auf dem Papier nur etwa 16.000 Einwohner hat – obwohl sie zusammen mit den umliegenden Städten und dem benachbarten Gorizia ein Stadtgebiet mit fast 70.000 Einwohnern bildet.
Man sagt, man muss wissen, wie man ein Verlierer, aber auch ein Gewinner ist. Auch wir sollten lernen, klein zu sein – aber gleichzeitig wissen, wie man groß ist. Wir müssen lernen, das größere städtische Ganze zu erkennen und zu akzeptieren, ohne dabei unsere lokale und lokale Identität zu vergessen. Die Antwort auf die Frage, wie man diese grenzüberschreitende Stadteinheit nennen soll, wäre wie folgt: Sie heißt Gorizia auf Slowenisch, Gorizia auf Italienisch, Gurize auf Friaulisch und Görz auf Deutsch. Aber diese Stadt hat kein Zentrum oder eine Peripherie, und es ist schwer, sie auf einer Postkarte festzuhalten. Es ist wie ein Mosaik aus vielen unabhängigen Teilen, die ein einziges Bild bilden. Jede Geschichte, jede Sprache, jeder Blickwinkel und jeder Ort der Betrachtung trägt zu ihrer Ganzheit bei.